„Und wir sahen seine Herrlichkeit. Amen.“

Mit diesen Worten aus dem Johannes-Evangelium begrüßte Superintendent Heinrich Herbst am gestrigen Heiligabend die Kirchengemeinde zur Christvesper in der voll gefüllten Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche).

Es wurde die klassische Weihnachtsgeschichte erzählt nach dem Lukas-Evangelium („Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. …“). Die Geschichte beginnt also wie eine Märchengeschichte, und wenn man sich das Ganze nach modernen, naturwissenschaftlichen Erkenntnisse anschaut, ist man geneigt zu konstatieren. „Jawohl, das ist alles nur ein Märchen. Das stimmt doch vorne und hinten nicht. „Das Wort wurde Mensch„, das geht doch gar nicht.“

Nun, von dem naturwissenschaftlichen Blickwinkel betrachtet ist an so einer Betrachtungsweise etwas dran. Aber die Geschichte mit Jesus von Nazareth hat sich so oder ähnlich sehr wohl zugetragen. Kaiser Augustus (63 v.Chr. – 14 n.Chr.) gab es tatsächlich und der ist für uns noch immer in so mancher Hinsicht bedeutsam, was man etwa an unseren Monatsnamen ablesen kann. Unter ihm und seinen ersten Nachfolgern wurden die Christen noch verfolgt. Doch dauerte es keine 350 Jahre bis sich sein Nachfolger, Kaiser Konstantin (der Große, ca. 270-337 n.Chr.) an seinem Totenbett taufen lies und zum christlichen Glauben übertrat. Und seit dieser Zeit ist dieser Glaube quasi Staatsreligion/Staatsphilosophie, zuerst im Römischen Reich, dann im Heiligen Römischen Reich (Deutscher Nationen) und nun in Deutschland und der Europäischen Union.

Im Namen dieses Glaubens wurde so mancher Krieg geführt und so manches Unheil angerichtet. Doch der Grundgedanken ist der des Friedens, des Heilens und der Versöhnung, was so symbolträchtig in der Figur des Jesus Christus von Nazareth und seiner Geburt als kleines, unschuldiges, schutzbedürftiges Kind in der Krippe dargestellt ist. Das Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes erzählen davon und bilden den Grundkanon des Neuen Testaments. Es ist, neben dem Alten Testament, das auch die Basis des Judentums darstellt, der ersten der drei monotheiistschen Abrahamitischen Religionen, die Grundlage des Christentums.

Superintendent Herbst nahm das Wort des Jahres („Zeitenwende“), dann in seiner Predigt auf mit den Eingangsworten: „Es gibt eine Zeit davor, und eine danach“ und machte diese dann für jedes Gemeindemitglied nachvollziehbar mit folgenden Beispielen: „Die Zeit vor dem ersten Kuss und die danach“, „die Zeit vor einer schwerwiegenden (Krebs-) Diagnose, und die danach“, „die Zeit vor dem Tod eines geliebten Menschen, und die danach“, „die Zeit vor dem 24. Februar 2022 und die danach“.

Mit letztem Beispiel war dann das Ereignis des Jahres benannt, das für viele Menschen, nicht nur die in der Ukraine, sondern auch unserer Gesellschaft mit einschneidenden Veränderungen assoziiert war und ist. Daneben benannte Superintendent Herbst die anderen Herausforderungen unserer Zeit, den Klimawandel und die Verwerfungen durch die (auslaufenden) Corona-Krise. Die Kernbotschaft der Predigt war gleichwohl die Weihnachtsgeschichte, der Geburt des Friedensfürsten Jesus Christus und der guten Hirten, die ihn als erstes in der Grippe liegen sahen und der Welt von diesem Ereignis verkündeten. Die christliche Botschaft dieses Ereignisses verband Herbst quasi mit dem Aufruf, dass jeder von uns, jeder Christ, aufgerufen ist, als „Guter Hirt“ seinen Beitrag zu leisten, die Wunden dieser Welt zu heilen und das Wunder von Nazareth zu verkünden.

Und das erscheint in der Tat notwendig. Denn eine andere Zeitenwende des Christentums in Deutschland benannte Superintendent nicht in seiner Predigt. Und das ist die Tatsache, dass in diesem Jahr erstmals die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland (21,8 Millionen Katholiken und 19,7 Protestanten) weniger als die Hälfte aller Deutschen ausmacht. Die Gründe dafür sind vielfältig, für viele ist  es schlicht das Geld/die Kirchensteuer, die sie nicht mehr bezahlen wollen oder können, für die anderen die Missbrauchs-Skandale an Kindern, die sich in den Kirchen zugetragen haben.

Welche Konsequenzen dies für unsere Gesellschaft haben wird, ist bisher nicht absehbar. Doch sei an dieser Stelle kurz Bezug genommen zu Alexis de Tocqueville (1805-1859), einem katholischen Royalisten, der im 19. Jahrhundert das junge US-Amerika bereiste und sein für diese Nation und die Demokratie insgesamt grundlegendes Werk „Demokratie in Amerika“ verfasste. Er ist immer noch das meistzitierte Buch zu dieser Regierungsform in den USA und wohl auch weltweit, Tocqueville wurde dadurch zu einem der Begründer der „Politikwissenschaft“.

Er zeigte sich begeistert von diesem Land und der im Vergleich zum Absolutismus chaotischen Regierungsform, die jedoch nach seiner damaligen Betrachtung überraschend gut funktionierte. Doch erkannte er messerscharf, welche Grundüberzeugungen dieses Land zusammenhielten. Und das war nicht nur die Freiheit des Einzelnen, sondern auch der christliche Glaube, der dafür sorgte, dass sich die Menschen in ihren lokalen Gemeinschaften gegenseitig unterstützen und an „menschliche Regeln“ hielten.

Der christliche Glauben stellte insofern für ihn den Kit einer Demokratie dar. Und diesen Gedanken sollte man auch in unserer eher säkular und atheistischen geprägten Gesellschaft deutlich thematisieren. Denn die dahinter liegende Frage ist: „Funktioniert die Demokratie westlicher Prägung überhaupt ohne den christlichen Glauben?“ Oder liegt in dem Rückzug dieser Religion und seiner Grundüberzeugungen nicht womöglich der Keim des Scheitern unseres demokratischen Rechtsstaates.

Die Predigt von Superintendent Herbst hatte in jedem Fall so manch guten Gedanken in sich. Wer mehr davon erfahren möchte, dem seien die Gottesdienste und Veranstaltungen der Kirchengemeinden in Weimar ans Herz gelegt. Man kann sie auch nutzen, um sich die Kantaten des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach (1685-1750) anzuhören. Sie seien unten aufgeführt und sind auch über die obigen Links einsehbar.

Gottesdienste in der Herderkirche:

  • 25. Dezember, 10 Uhr, Kantate 1
  • 26. Dezember, 10 Uhr, Kantate 2
  • 31. Dezember, 17 Uhr, Kantate 3
  • 1. Januar, 11 Uhr, Kantate 4
  • 1. Januar, 16 Uhr (Neujahrskonzert), Kantate 5
  • 6. Januar, 18 Uhr, Kantate 6

Der Autor wünscht allen Lesern ein friedvolles und gesegnetes Weihnachtsfest.

PS: Wer sich mehr mit der Thematik beschäftigen möchte, der sei u.a. auf die folgenden Blogs verwiesen