Am letzten Wochenende fand der erste Präsenz-Bundesparteitag der FDP in Berlin nach mehr als 2 Jahren statt.

Mit dabei aus Thüringen waren Franziska Baum, Dirk Bergner, Tim Wagner und vor allem Thomas Kemmerich. Es war sein erster Auftritt auf Bundesebene seit über 2 Jahren, nachdem er für kurze Zeit Ministerpräsident des Freistaates war. Nun, diese Geschichte ist schon lange her und wurde bereits umfassend (kritisch) gewürdigt, siehe etwa die Beiträge von Martin Debes oder von hiesiger Seite. Insofern lag ein gewisser Zauber über dieser Veranstaltung aus Thüringer Sicht.

Die gute Nachricht für Kemmerich: Er war da, wurde wahrgenommen und gewürdigt, siehe insbesondere den Fernseh-Beitrag im MDR (Wortlaut siehe unten). Doch nicht nur das. Er erhielt als Katholik von dem konfessionslosen Wolfgang Kubicki quasi die Absolution. Denn Kubicki  sprach zu dem Reporter folgende Worte:

„Sie sehen das ja selbst auf dem Parteitag. Thomas Kemmerich wird nicht mehr behandelt wie ein Paria. Auch da ist eine gewisse Normalität eingetreten. Die Probleme in Thüringen vor zwei Jahren verschwinden komplett angesichts der Herausforderungen, die wir haben, sowohl was den Ukraine-Krieg angeht wie auch was den Strukturwandel in Deutschland angeht wie auch unsere energiepolitische Zukunft. Insofern glaube ich, Normalisierung tut gut.“

Das wirft natürlich die Frage auf, was das Verhalten von Thomas Kemmerich vor zwei Jahren mit dem Ukraine-Krieg, dem Strukturwandel und der energiepolitischen Zukunft Deutschlands zu tun hat. Dass diese wichtige Themen als Rechtfertigung für Nachlässigkeiten in anderen Bereichen genutzt werden könnten, wurde bereits vorhergesagt, siehe Blog „Still ruht der See„.

Auch fragt man sich, was Wolfgang Kubicki unter dem Begriff „Normalität“ versteht.

Etwa, dass es normal ist, sich unrechtsmäßig in ein öffentliches Mandat wählen zu lassen?

Oder dass es normal für die FDP ist, wenn sich einer Ihrer Spitzenpolitiker von der AfD zum Ministerpräsident wählen lässt und nach dem grandiosen Scheitern des Mandates gut ein Jahr später erneut zum Spitzenkandidat seiner Partei und damit wiederum zum potentiellen Kandidaten für das MP-Amt erklärt, ohne zuvor seine Position gegenüber dieser Partei erkennbar korrigiert zu haben? (Auf die Problematik des Spitzenkandidaten Kemmerich wurde bereits hingewiesen.)

Die Äußerungen von Kemmerich zum Ukraine-Krieg am letzten Wochenende in Berlin waren zumindest nicht weit weg von der Position der AfD (siehe MDR-Beitrag bzw. Wortlaut unten). Thüringen mit Kemmerich an der Spitze bleibt daher der Lackmus-Test für die FDP, wie sie es zukünftig mit der AfD halten will.

Auch fragt man sich, ob der gesamte Parteivorstand der FDP wieder hinter Thomas Kemmerich steht oder ob dies nur für seinen Langzeit-Unterstützer Wolfgang Kubicki und damit den stellvertretenden Parteivorsitzender gilt.

Auf dem Parteitag stellte sich Kemmerich jedenfalls in dem MDR-Beitrag öffentlich gegen den Antrag des Parteivorstandes, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Und dieser Antrag wurde letztlich von dem Parteitag angenommen. Insofern muss Thomas Kemmerich wohl noch eine Wegstrecke zurücklegen, bis er wieder mitten in der FDP angekommen und allseits akzeptiert ist. Schöne Bilder von Kemmerich gemeinsam mit den Parteigrößen der Bundes-FDP wurden in jedem Fall nicht gesichtet, nicht einmal ein Zweierbild von Kubicki und Kemmerich kam zustande. Zu dicht wollte Kubicki den geschätzten Parteifreund dann offenbar doch nicht an sich rankommen lassen.

Was Wolfgang Kubicki betrifft, ist es aus hiesiger Sicht gut, dass er Rechtsanwalt und nicht Richter geworden ist. Ansonsten wäre es wohl zu mancher Revision seiner Urteile gekommen. Das mag ein Grund sein, weshalb er es in seiner politischen Laufbahn strikt vermieden hat, ein exekutives Ministeramt zu übernehmen, in dem er rechtsverbindliche Entscheidungen hätte treffen müssen. In der Politik entfalten seine Urteile keine Rechtsgültigkeit, sondern nur mediale Aufmerksamkeit.

 

Wortlaut des MDR-Beitrags vom 23.04.2022 mit dem Titel „Thüringer Delegierte beim FDP-Bundesparteitag“ (Online verfügbar bis zum 20.10.2022).

Sprecher: „Bundesparteitag der FDP in Berlin. Das erste Mal seit zwei Jahren wieder in Präsenz. Bilder wie vor Corona. Kaum Masken, keine Testpflicht, keine Abstände. Ausgerechnet der Parteichef aber beweist, dass die Pandemie nicht vorbei ist. Christian Lindner hält seine Rede aus der Quarantäne in Washington.

Ganz präsent unter den vielen Delegierten ist Thomas Kemmerich. Der Thüringer Landeschef hat keine Berührungsängste, obwohl ihm die Partei die Unterstützung entzogen hatte. Das ist 1 1/2 Jahre her. Einiger Zeit nach seiner kurzen Ära als umstrittener Ministerpräsident

Doch Kemmerich ist wieder da, wieder im Kreis der liberalen Familie.

Thomas Kemmerich (gegenüber dem MDR-Reporter): „Der Entzug der Unterstützung hat ja mit Wahlkämpfen im Jahre 2021 zu tun. Das Wahljahr ist rum. Jeder kann beobachten, dass ich viele Leute treffe, die uns gerne wiedersehen, bestätigen, dass wir uns leider lange nicht gesehen haben, aber in Zukunft gut zusammenarbeiten werden. Ich fühle mich rundherum gut.“

Sprecher: „Diese Gefühlslage teilt mittlerweile auch wieder die Parteiführung. Die Zeit Kemmerichs als Paria, als Ausgestoßener, sei vorbei.

Wolfgang Kubicki (gegenüber dem MDR-Reporter): „Sie sehen das ja selbst auf dem Parteitag. Thomas Kemmerich wird nicht mehr behandelt wie ein Paria. Auch da ist eine gewisse Normalität eingetreten. Die Probleme in Thüringen vor zwei Jahren verschwinden komplett, angesichts der Herausforderungen, die wir haben, sowohl was den Ukraine-Krieg angeht wie auch was den Strukturwandel in Deutschland angeht wie auch unsere energiepolitische Zukunft. Insofern glaube ich, Normalisierung tut gut.“

Sprecher: „Fall erledigt, zurück zur Sacharbeit. Der Krieg ist gefühlt das wichtigste Thema auf dem Bundestreffen. In Anträgen fordert die Parteiführung schwere Waffen für die Ukraine. Mit den Thüringern nicht zu machen.“

Thomas Kemmerich (gegenüber dem MDR-Reporter): „Teilweise ist die Rhetorik mir zu sehr auf Fortsetzung des Krieges gemünzt. Das findet nicht meine Billigung. Ich halte es auch für schwierig zu sagen, die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Ich glaub, diesen Krieg kann keiner gewinnen. Wir als Weltbevölkerung können nur verlieren.“

Sprecher: „Mit dieser Haltung steht der Landesverband Thüringen nicht allein, hört man in den Gesprächen mit anderen Delegierten. Es wird also noch viel zu besprechen sein beim ersten Wiedersehen nach langer Zeit.“