oder Das Diversitäts-Dilemma in der Politik
Eines muss man der Corona-Pandemie lassen: Sie hat gnadenlos Schwächen und Missstände in unserer Gesellschaft und der Politik aufgedeckt.
Ein Dilemma, das an dieser Stelle beleuchtet werden soll, ist die viel gepriesene (und eingeforderte) Diversität.
Dahinter steckt der Ansatz, dass innerhalb von Gesellschaft und Politik möglichst viele soziale Gruppen repräsentiert sein sollten. (Auf das am 22. Dezember 2018 in Kraft getretene Gesetz mit der Einführung der dritten Geschlechtsoption „divers“ soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.).
Die Forderung nach Diversität ist an und für sich nicht negativ, denn sie erlaubt es, dass sich weite Bevölkerungsschichten mit den politischen Vertretern identifizieren können und sie sich von ihnen repräsentiert fühlen. Problematisch wird die Diversität aus hiesiger Sicht jedoch dann, wenn daraus Forderungen abgeleitet werden, wie welche Posten und Positionen zu besetzen sind. So lässt sich unter dem Schlagwort „Diversität“ auch die Forderung nach Geschlechtsparität subsummieren. Sie ist in der Politik (im Gegensatz zur Wirtschaft) mittlerweile weitgehend akzeptiert und wird auch umgesetzt, was man etwa bei der Besetzung der Ministerien in dem neuen Kabinett von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern ablesen kann. Es werden erstmals in einem Landeskabinett mehr Frauen (n=5) Ministerposten haben als Männer (n=4). Der Ministerpräsidentin ist damit schon Historisches gelungen, sozusagen ein echter „Diversitäts-Coup“. Hoffentlich resultiert daraus auch eine erfolgreiche Politik für die Menschen in „Meck-Pomm“.
Auch gibt es in der Politik den Anspruch der „regionalen Diversität“, die sich darin äußert, dass etwa in Bayern immer Vertreter der einzelnen Regionen (z.B. Franken, Oberbayern, etc.) in der Landesregierung vertreten sind. Auch hier ist die Berücksichtigung der Diversität in der Politik zweifellos sinnvoll. Doch kann und sollte sie nicht die primäre Leitschnur sein, wer für welchen Posten ausgewählt wird.
Vielmehr stellt die persönliche Qualifikation aus hiesiger Sicht die entscheidende Messlatte dafür dar, ob jemand ein Spitzenamt erhalten sollte oder nicht. (Unter dem Begriff „persönliche Qualifikation“ wird dabei mit subsummiert die soziale Kompetenz, sprich die Fähigkeit u.a. Gesichtspunkte der „Diversität“ angemessen in der Politik zu berücksichtigen.)
Es ist bisweilen erschreckend zu sehen, wie leichtfertig man sich im politischen Alltag über das Erfordernis der „Qualifikation“ hinwegsetzt. Alle Bundesminister und allen voran der Bundeskanzler haben eine für unser Land extrem wichtige Aufgabe zu erfüllen. Sie sind das Spitzenpersonal, das unserer Land führen und im In- und Ausland repräsentieren soll und muss. Es sind derzeit wieder vielerlei administrative und politische Spitzenposten in unserem Staat neu zu besetzen. Doch in der Diskussion, wer für welchen Posten in Frage kommt, spielt die Frage der „persönlichen Qualifikation“ kaum eine Rolle. Im Gegenteil vermitteln Politikerinnen und Politiker aller Parteien bisweilen den Eindruck, im Zweifelsfall jedweder Posten ausfüllen zu können.
Vermutlich bedarf es in der Politik einer gewissen Chuzpe. Doch wo das enden kann, hat man beispielsweise im letzten Jahr im hiesigen Bundesland gesehen, als der FDP-Landesvorsitzende Thomas Kemmerich „auf einmal“, „ganz plötzlich“, „geradezu zufällig“ zum Ministerpräsidenten des Landes Thüringen gewählt wurde und dann gnadenlos offenkundig wurde, dass ihm in vielerlei Hinsicht die Qualifikation fehlte, dieses Amt auszuüben. Auch danach hat er mehrfach gezeigt, dass er wenig Gespür für Verantwortung und Führung hat. Ein Rücktritt vom Parteivorsitz kam für ihn nicht in Frage, der Fraktionsstatus im Landtag ging verloren, seine Wahl zum Erfurter Stadtrat erwies sich als rechtswidrig und auch im Umgang mit der Corona-Pandemie muss man sein Verantwortungs- und Vorbilds-Bewusstsein in Frage stellen. So wird offenbar morgen trotz massiv steigender Infektionszahlen und eindeutiger Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, solche Veranstaltungen nicht abzuhalten, der Landesparteitag in Schmalkalden stattfinden.
Auch bei der Bewerbung von Annalena Baerbock für das Amt der Bundeskanzlerin haben viele Menschen in diesem Land sich wohl die Frage gestellt, was ist bei ihr „Chuzpe“ und was „Substanz“. Am Ende sind offenbar viele Wähler zu dem Ergebnis gekommen, dass man jemanden, der nie zuvor Regierungsverantwortung inne hatte, nicht so einfach „mir nichts dir nichts“ das wichtigste politische Amt in diesem Land anvertrauen kann. Das „Experiment Regierungsverantwortung“, von „0 auf 100“ nach dreieinhalb Jahren Führung einer Partei (zusammen mit dem Regierungs-erfahrenen Ko-Vorsitzenden Robert Habeck, der zudem soziale Kompetenz in der Schleswig-Holsteinischen Regierungskoalition bewiesen hatte) war vielen Wählern einfach zu riskant. Vielmehr haben sich die Wähler mit Olaf Scholz für jemanden entschieden, der sich in seinen vorherigen Ämtern bewährt und qualifiziert hatte, zumindest hatte er sich in der Wahrnehmung seiner Partei und der Bürgerinnen und Bürger keinen so gravierenden Fehler geleistet, dass er für dieses Amt nicht mehr in Frage kommt. Ob es ausreicht, die Bundesrepublik Deutschland erfolgreich zu führen, wird sich erweisen.
Leider vermitteln derzeit bei den Ampel-Koalitionären nicht alle Beteiligten den Eindruck, für Spitzenposten in der zukünftigen Regierung geeignet zu sein. Problematisch ist aus hiesiger Sicht zudem der „Parteien-Proporz“, nach dem die einzelnen Ministerien besetzt werden. Es werden am Ende in einem Koalitionsvertrag in der Regel einzelne Ministerien einzelnen Parteien zugesprochen, die dann aus dieser Partei heraus die jeweiligen Spitzenpositionen in diesen Ministerien besetzen. Die anderen Parteien mischen sich dann nicht mehr ein. Im Gegenteil ist das Infragestellen der Qualifikation einer Ministerin oder eines Ministers oder gar die Forderung nach deren Abberufung gleichbedeutend mit der Androhung der Aufkündigung der Koalition. Dieses „Junktim“ schadet jedoch der Sache.
Es wäre aus hiesiger Sicht besser, wenn sich alle Koalitionspartner einvernehmlich auf die Besetzung der Spitzenposten einigen und die jeweiligen Personen nur dann von allen Koalitionspartnern akzeptiert werden, wenn sie auch die notwendige Qualifikation für das Amt mitbringen. Sollte man sich dabei nicht auf die Vertreterin oder den Vertreter der Partei, die das Vorschlagsrecht hat, einigen, sollte man das Ministerium besser mit einer unabhängigen Fachfrau oder einem externen Fachmann besetzen, der die Zustimmung aller Partner erfährt.
Ob die Ampel-Koalitionäre sich auf so ein Vorgehen einigen können, bleibt abzuwarten. Es sei ihnen von dieser Stelle weiterhin viel Erfolg gewünscht bei Ihren Verhandlungen. Und falls etwas schiefläuft und nicht so klappt wie gewünscht, wird ihnen sicher Corona oder ein anderes Problem zusammen mit der öffentlichen Meinung die gelbe oder rote Karte zeigen. Noch jedoch stehen Zeichen bei der Ampel auf Grün.
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