Dieser Tage sind die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokyo zu Ende gegangen. Sie stellten ein Novum in der wechselvollen Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit dar. Denn das weltumspannende Sportereignis fand wegen der Corona-Pandemie nicht nur ein Jahr später als geplant, sondern auch weitgehend ohne Zuschauer vor Ort statt. Doch für eine weltweite Übertragung des Spektakels wurde gleichwohl gesorgt. Sogar die Geräuschkulisse der Zuschauer wurde digital zugemischt, um auf den Übertragungskanälen den Eindruck eines „Live-Events“ möglichst authentisch zu vermitteln. Ähnlich war es schon mit den Spielen der Fußball-Bundesliga, die selbst zu Zeiten der strengsten Corona-Einschränkungen noch stattfinden durften. Dies hatte, ebenso wie die aktuellen Olympischen Spiele, etwas Surreales und nicht wenige mögen in diesem Ereignis (zu Pandemie-Zeiten) nur eine Ausgeburt des Wirtschafts-Liberalismus/
Doch daneben darf man auch die Interessen der Sportler nicht zu gering schätzen. Sie haben sich jahrelang auf dieses Ereignis vorbereitet und wollten sich mit den Besten ihrer Zunft auf internationaler Bühne messen. Ihnen das zu verwehren, wäre eine grosse Ungerechtigkeit gewesen. Denn für die Sieger dieser Spiele, für Deutschland beispielsweise die Weitspringerin Maleika Mihambo (7,00m) und der Tennisspieler Alexander Zverev und ihre Fans, werden diese Spiele einzigartige Lichtblicke in ihrem Leben bleiben.
Auch ist es interessant, sich die politische Dimension der Olympischen Spiele vor Augen zu führen. Deutschland durfte die Olympischen Spiele der Neuzeit bereits zweimal ausrichten. Im Jahr 1936 nutzen sie Adolf Hitler (und Leni Riefenstahl) um sich und ihr Regime effektvoll in Szene zu setzen. Gleichzeitig verdarb Ihnen der Sprintstar Jesse Owens, der mit 4 Goldmedaillen (100m, 200m, 4x100m, Weitsprung; im Schuhwerk von Adi Dassler) der erfolgreichste Sportler der Spiele wurde, die Schau. Er wurde mit seinen Siegen zum Vorboten einer Vormachtstellung der USA, die nicht nur als Atommacht, sondern auch sportlich und wirtschaftlich bald die Ländern Europa, konkret Großbritannien (und Deutschland), als bestimmende Weltmacht ablösen sollte.
Auf persönlicher Ebene ist die freundschaftliche Beziehung zwischen Jesse Owens und seinem deutschen Kontrahenten Carl Ludwig Hermann („Luz“) Long (1913-1943) erwähnenswert. Sie gingen nach der Siegerehrung (Long wurde mit 7,87m Zweiter, Owens mit 8,06m Erster) untergehackt, Hand-in-Hand auf die Zuschauerränge zu und blieben sich danach freundschaftlich verbunden, auch wenn sie sportlich nicht mehr gegeneinander antraten. Denn Owens wurde nach den Olympischen Spielen die Anerkennung in seinem Heimatland vorenthalten und der Amateurstatus aberkannt während Long sich als promovierter Jurist, Mitglied der NSDAP und nach seiner Rekrutierung als Wehrmachtssoldat aktiv für Nazi-Deutschland engagierte. Long starb im Juli 1943 bei der Einnahme Siziliens durch die Alliierten im Rahmen der Operation Husky während der gleichaltrige Owens (1913-1980) mit 66 Jahren einem Lungenkrebsleiden erlag.
Die zweiten Olympischen Spielen der Neuzeit in Deutschland, 1972 in München, wurden überschattet durch den politisch motivierten Anschlag der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September, die der Guerilla-Organisation Fatah von Jassir Arafat zugehörig war und dem 11 israelische Geisel und alle 5 Geiselnehmer zum Opfer fielen. Deutschland errang hinter den USA, der Sowjetunion und der DDR den vierten Rang im Medaillenspiegel. Davon ist das vereinigte Deutschland mittlerweile meilenweit entfernt, in Tokyo kam man als vereinigte Nation mit 10 Goldmedaillen gerade mal auf den 9. Rang.
Als Einzelathlet schrieb Mark Spitz mit seinen 7 Goldmedaillen im Schwimmen 1972 Sportgeschichte. Erfolgreichste (ost)deutsche Sportlerin war die spätere Ärztin Karin Janz (später Karin Büttner-Janz, geb. 1952 in Hartmannsdorf), die zwei Goldmedaillen (am Sprungpferd und am Stufenbarren), zwei Silbermedaillen und eine Bronzemedaille errang.
Aus westdeutscher Sicht war die Hochspringerin Ulrike Meyfarth (geb. 1956 in Frankfurt am Main) und Weitspringerin Heide Rosendahl die herausragenden Athletinnen. Meyfarth errang mit gerade einmal 16 Jahren den Titel im Hochsprung. Dazu nutze sie den erst vier Jahre zuvor entwickelten Sprungstil des Fosbury-Flop, den der US-Amerikanische Hochspringer Dirk Fosburg vier Jahre zuvor das erste Mal gesprungen war. Zwölf Jahre später gelang Ukrike Meyfarth ihr Comeback mit dem Sieg 1984 bei den Olympischen Spielen von Los Angeles. Heide Rosendahl gewann mit 6,78 m (und einem Zentimeter Vorsprung vor ihrer Konkurrentin aus Bulgarien, Diana Jorgowa) die Goldmedaille im Weitsprung und eine zweite Goldmedaille als Schlussläuferin der 4×100 m Staffel (vor den Läuferinnen der DDR).
https://de.wikipedia.org/wiki/Willi_DaumeDie maßgeblichen (Sport-) Politiker, die die Olympischen Spiele 1972 nach München holten waren Willi Daume und der Münchner Oberbürgermeister Hans-Joachim Vogel (SPD).
Politisch und sportlich bedeutsam waren auch viele weitere Olympischen Spiele, was an dieser Stelle nicht umfassend dargestellt werden kann. Nur kurz gewürdigt seien jedoch die Spiele des Jahres 1968 in Mexico City, da bei diesen Wettkämpfen nicht nur der Weitspringer Bob Beamon seinen Fabel-Weltrekord von 8,90 aufstellte, der erst 1991 von Mike Powell bei den Weltmeisterschaften in Tokyo übertroffen wurde, bei Olympia jedoch weiter die Bestmarke darstellt. Ähnlich lang hielt zuvor der Rekord von Jesse Owens, dessen Weltbestleistung von 8,13 m von 1935 bis 1960 Bestand hatte.
Auch gab es eine politische Demonstration der US-Sprinter Tommie Smith, Olympiasieger im 200 m Lauf in neuer Weltrekordzeit von 19,83 Sekunden, und des Drittplatzierten Juan Carlos, ebenfalls USA, die beide bei der Siegerehrung jeweils eine mit schwarzem Handschuh bekleidete Faust in die Höhe streckten, dem sogenannten „Black-Power-Gruss“. In den USA befand sich die amerikanische Bürgerrechtsbewegung auf ihrem Höhepunkt, Martin Luther King (1929-1968), dem 1964 der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, war im April des gleichen Jahres erschossen worden. Beide Sportler mussten auf Intervention des IOC-Präsidenten Avery Brundage umgehend das Olympische Dorf verlassen. (Brundage war es auch, der Jesse Owens nach der Olympiade 1936 den Amateurstatus entzog. Solche eklatante Fehltritte hat sich der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach bisher noch nicht geleistet.)
Weit weniger bekannt ist, dass 10 Tage vor der Eröffnung der Olympische Spiele bei dem Massaker von Tlatelolco ca. 300 friedliche Demonstranten ihr Leben verloren, weil die autoritäre Regierung des Landes vor diesem Großereignis durch Repression die störenden Studentenproteste unterdrücken wollte. Im Jahr zuvor war der marxistische Revolutionär, Arzt und Autor Ernesto „Che“ Guevara getötet worden, der in der Folge zu einer Ikone der 68-er Generation weltweit werden sollte.
Die Spiele von 1976 bis 1984 sind als Boykott-Spiele in die olympische Sportgeschichte eingegangen. In Montreal 1976 waren es vorrangig afrikanische Länder die den Spielen fernblieben, weil zuvor Neuseeland den Sportbann gegen das Apartheids-Regime in Südafrika gebrochen hatte. Die Sowjetunion gefolgt von der DDR, den USA und der BRD waren damals die erfolgreichsten Nationen.
In Moskau im Jahr 1980 blieben neben den USA und der BRD noch 40 weitere, vor allem westliche Nationen den Olympischen Spielen fern wegen des Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979. Die Dominanz der Sowjetunion (80 Goldmedaillen) und der DDR (47 Goldmedaillen) war insofern noch grösser als bei den Spielen zuvor.
Die Retourkutsche des Ostblockes folgte bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, wo zwar „nur“ 18 Länder dem Boykott der Sowjetunion folgten, darunter natürlich die DDR, wo jedoch aufgrund des Dominanz des Ostblockes in vielen Disziplinen, die Weltspitze fehlte.
Aus Thüringer Sicht dürfen natürlich nicht die Olympiasiege von Heike Drechsler unerwähnt bleiben. Sie begann ihre Sportkarriere 1974 bei der BSG Wismut in Gera und wechselte 1977 zum SC Motor Jena. Ihre olympische Höhepunkte erlebte sie mit den Siegen im Weitsprung, ihrer Paradedisziplin, in Barcelona 1992 mit 7,14 m und in Sidney 2000 mit 6,99 m.
Dass systematisches Doping sowohl für die olympischen Sporterfolge der DDR wie auch der BRD eine wesentliche Voraussetzung war, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.
Was wird von den gerade abgelaufenen Spielen in Tokyo in Erinnerung bleiben?
Einzelne deutsche Höhepunkte wurden schon erwähnt. Einen Rekord für die Ewigkeit hat der norwegische Läufer Karsten Warholm über 400 m Hürden erzielt, indem er seinen eigenen Weltrekord deutlich unterbot und mit 45,94 Sekunden erstmals unter der Schallmauer on 46 Sekunden geblieben ist. Solche Ereignisse und Geschichten sind es, die die Faszination dieser Wettkämpfe ausmachen. Sie werden wohl das politische Signal dieser Spiele langfristig überstrahlen. Es lag dieses Mal darin, dass sie überhaupt stattfanden.
Sportlich hatten die USA (39 Goldmedaillen) knapp die Führung vor China (38 Goldmedaillen) halten können. Japan kam als Austragungsland auf den 3. Platz (27 Goldmedaillen). Nur bei den Spielen 2008 in Peking war die Volksrepublik (48 Goldmedaillen) bisher besser als die Vereinigten Staaten (36 Goldmedaillen). Dies mag die Bedeutung des Austragungsortes für die Motivation der Sportler, in ihrem eigenen Land Höchstleistungen zu vollbringen, verdeutlichen.
Auch sei auf den ursprünglichen Sinn von Olympia, nämlich den des unblutigen „Stellvertreterkrieges“ zwischen den Nationen durch deren Sportler in einem sportlich fairen Wettbewerb bei gleichzeitiger Möglichkeit, persönliche Bindungen zwischen den Athleten aufzubauen, hingewiesen. Insofern haben solche sportlichen Großereignisse, trotz zunehmender Kommerzialisierung, weiterhin ihre Berechtigung.
Die sportliche Bilanz von Olympia 2020 ist gezogen. Ob noch eine (Gesundheits-) politische Abrechnung erfolgen wird, bleibt abzuwarten.
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