in Mitten von Konsum und Kommerz
Angesichts des Krieges in der Ukraine und seiner Zerstörungen sei an ein eindrückliches Mahnmal des Krieges in der Hauptstadt Berlin erinnert, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am Breitscheidplatz.
Sie wurde im Auftrag von Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) zum Gedenken an seinen Großvater Kaiser Wilhelm I. (1797-1888) in den Jahren 1891-1895 in der damals noch eigenständigen Stadt Charlottenburg gebaut. Baumeister war Franz Heinrich Schwechten (1841-1924), der bereits zuvor den Anhalter Bahnhof in Berlin gebaut hatte in seiner Funktion als Vorsteher der Hochbauabteilung des technischen Zentralbureaus für die Berlin-Anhaltische Eisenbahn-Gesellschaft. Die Glocken zu diesem Bau wurden übrigens in der Glockengießerei Schilling in Apolda gegossen.
Die Kirche wurde in der Nacht vom 22. zum 23. November 1943 bei einem britischen Bombenangriff schwer beschädigt, das Kirchengebäude geriet in Brand, der Dachstuhl brach zusammen und die Spitze des Hauptturmes knickte ab. Das NS-Führung gab der Gemeinde die Zusage, dass die Gedächtniskirche nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut würde. Doch taten sich die Siegermächte schwer mit dieser Planung, denn sie sahen in der Kirche ein Symbol für den wilhelminisch-deutschen Nationalstolz.
Im Jahr 1956 begann man, den einsturzgefährdeten Chor abzureißen, und es erfolgte eine Ausschreibung für einen Neubau der Kirche. Diesen gewann im März 1957 der Architekt, Möbeldesigner und Hochschullehrer Egon Eiermann (1904-1970). Sein Entwurf sah den vollständigen Abriss der Ruine vor. Jedoch verursachten diese Pläne eine leidenschaftliche öffentliche Debatte, die mit dem Kompromiss endete, dass die 71 Meter hohe Ruine des Hauptturmes erhalten blieb, um als Mahnmal gegen den Krieg zu wirken. Ergänzt wurde diese Ruine von einem achteckigen neuen Kirchengebäude (mit angrenzendem Foyer), einem ebenfalls achteckigen Glockenturm und einer Gemeindekapelle.
Glockenturm und Kirchenschiff werden von den Berliner in typisch respektloser Manier als „Lippenstift und Puderdose“ bezeichnet, während die Turmruine als „Hohler Zahn“ tituliert wird. Ersteres ist nicht unpassend, ist der Ort doch mittlerweile in Zentrum des Westberliner Einkaufsmeile gelegen. Der Ku´damm und das KaDeWe (Kaufhaus des Westens) sind gleich um die Ecke. Am Nachbargebäude dreht sich der Stern von Mercedes Benz. In unmittelbarer Nachbarschaft stehen veritable Hochhäuser, so etwas das Hotel Waldorf Astoria, einem Luxushotel der Hilton-Gruppe, das nach dem Stammhaus in New York benannt ist. Hier ist bestimmt schon so mancher russischer (und ukrainischer) Oligarch abgestiegen. Für das „normale Volk“ findet das großes Kino hingegen gleich gegenüber im Zoopalast statt.
Der Breitscheidplatz, benannt nach dem von den Nazis verfolgten und im KZ Buchenwald (durch einen amerikanischen Luftangriff) gestorbenen sozialdemokratischen Politiker Rudolf Breitscheid (1874-1944, sein Tod wurde zusammen mit dem von Ernst Thälmann bekannt gegeben), erlangte im Dezember 2016 allgemeine Aufmerksamkeit, als der islamistische Terrorist Anis Amri am 19.12. mit einem gestohlenen Lastkraftwagen in den Weihnachtsmarkt raste und 13 Personen tötete, einschließlich den Fahrer des Sattelzugs, und mindestens 67 weitere Menschen des Marktes zum Teil schwer verletzte. Auch an diese Menschen wird an den Stufen und in den Räumlichkeiten des Neubaus der Gedächtniskirche erinnert.
An kaum einem anderen Ort in unserem Land lassen sich die Exzesse von Krieg und Hass unmittelbarer erleben als hier im Zentrum von Konsum und Kommerz. Die meisten Menschen, die den Breitscheidplatz besuchen, kommen sicher aus ganz anderen Motiven hier her. So mancher mag nur auf die Turmruine schauen, um sich anhand der großen Uhr mit beleuchtetem Zifferblatt der Zeit zu vergewissern, zu der man sich zu einem Rendezvous oder ähnlichem verabredet hat.
Eine Kirche und Gemeinde gibt es jedoch weiterhin. Sie ist sogar recht aktiv und veranstaltet regelmäßig Chor- und Motettenkonzerte, so etwa an jedem zweiten Samstag um 18:00 Uhr. Die „große“ Politik scheint diesen Ort und seine Symbolkraft gegen den Krieg kaum wahrzunehmen. Und auch die Friedens-Demonstranten gegen den Krieg in der Ukraine scheinen eher das Brandenburger Tor und den Alexanderplatz für ihre Kundgebungen vorzuziehen, was jedoch möglicherweisen den Auflagen der Polizei und Behörden oder Einsprüchen der örtlichen Geschäfte geschuldet ist.
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