oder „King Karl“ und die Einrichtungs-bezogene Impfpflicht.

In Deutschland regt man sich zurzeit nicht unberechtigt darüber auf, dass die Menschenrechte in Russland systematisch ausgehöhlt und der „Rechtsstaat“ zu einem Instrument eines restriktiven und diktatorischen Regimes umgewandelt wurde. Doch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es auch in Deutschland mit dem Rechtsstaat nicht zum Besten bestellt ist. Das kann man zum Beispiel daran ersehen, dass Regierung und Parlament Gesetze verabschieden, deren Umsetzung dann nicht erfolgt bzw. verwässert werden.

Auch wundert man sich, wie wenig Übersicht und Kontrolle der Staat noch über sein Staatswesen zu haben scheint. So ist es zwar lobenswert, dass Deutschland jetzt Flüchtlinge aus der Ukraine aufnimmt. (Schon allein aus historischer Perspektive sind wir aus hiesiger Sicht dazu verpflichtet.) Doch muss das in einer so ungeordneten und kaum dokumentierten Art und Weise geschehen? Aktuell scheint keiner genau sagen zu können, wie viele Flüchtlinge (aus der Ukraine) sich wo aktuell in Deutschland aufhalten.

Seit der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015/2016, bei der auf Anordnung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel die deutschen Grenzen geöffnet wurden und sie ihren legendären Satz sprach „Wir schaffen das!„, scheint sich der Umgang mit Menschen, die nach Deutschland kommen, vollständig gewandelt zu haben. Früher war es eher schwierig, als Nicht-EU-Bürger nach Deutschland einzureisen. Es bedurfte eines Visums, geprüfter Papiere, etc. pp. Da wurde womöglich bisweilen zu viel Kontrolle ausgeübt. Die Prämisse schien damals zu lauten: „Wir wollen eigentlich keine Ausländer bei uns haben.“ Erinnert sei an den berühmt-berüchtigten Ausspruch „Lieber Kinder als Inder“ und die damit verbundene Wahlkampf-Kampagne von Jürgen Rüttgers (CDU, Jg. 1951) im Jahre 2000

Das ist lange her, Tempi passati. Mittlerweile scheint in der Bevölkerung die Einsicht zu reifen, dass wir als Industrieland mit schrumpfender Bevölkerung auf Einwanderung angewiesen sind, wenn wir unsere Wirtschaft am Laufen und unseren Lebensstandard halten wollen. (Es wurde auf diesen Seiten schon auf das Problem der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland hingewiesen.) Insofern möchte man den europäisch denkenden und nach westlichen Standards (wenn nicht besser) ausgebildeten Ukrainern zurufen: „Kommt alle her. Ihr seid herzlich willkommen und könnt sofort bei uns arbeiten.“ Doch dafür wäre es gleichwohl gut zu wissen, wer schon da ist und wo sie/er sich befindet.

Eine „Duftnote“ besonderer Art setzte dieser Tage der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkasse mit der GKV-Stellungnahme zur Einführung einer Allgemeine Impfpflicht. Der Verband positionierte sich gegen die Impfpflicht, weil es aktuell nicht genügend Papier gebe bzw. dieses zu teuer sei, um alle Impfpflichtigen über ihre Impfpflicht zu informieren. Ja, geht´s noch? Es gibt bestimmt genügend Gründe gegen eine Allgemeine Impfpflicht (für Personen Ü18). Aber angeblich fehlendes Briefpapier ist nun wirklich kein Grund. Zumindest ist der „Preis von Papier“ kein Gebiet, auf dem die GKV über eine besondere Kompetenz verfügt, als dass sie sich dazu äußern sollte. Doch mag man daran sehen, wie verschroben die politische Diskussion in Deutschland bisweilen ist. Mit Umweltschutz und Klima lässt sich aktuell gegen so manche Maßnahme wettern. Vielleicht mag die GKV auch nur gehofft haben, bei einem „Klima-Kabinett“ mit solchen Argumenten zu punkten.

Das Problem ist wohl eher, dass die Einwohnermeldeämter gar nicht mehr so genau wissen, wen sie alles anschreiben müssten, wenn es in Deutschland zu einer allgemeinen Impfpflicht (oder einer Impfmeldepflicht) käme. Denn in vielen Bereichen scheint unklar zu sein, wer eigentlich wo wohnt und welchen Aufenthaltsstatus hat. Doch dafür haben wir dolle Datenschutzgesetze, die jedem sein Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ garantieren. Das ist ja alles gut und schön. Nur muss auch unser Rechtsstaat funktionieren. Und das tut er aus hiesiger Sicht nur noch mit erheblichen Friktionen.

Das „Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19“, das Bundestag und Bundesrat am 10.12.2021, ist letztlich ein Rohrkrepierer geworden. Es wurde auf Basis des damals vernehmlich öffentlich geäußerten Verlangens nach einer Corona-Impfpflicht (übereilt) erstellt und implementiert. Bemerkenswert waren die Worte von Prof. Dr. med. Karl Lauterbach am 10.12.2021 im Deutschen Bundestag kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes.

„Am Ende des zweiten Jahres der Pandemie ist es in keine Weise akzeptabel, ist es in keiner Weise akzeptabel, dass in Einrichtungen, wo Menschenleben, die ihren Schutz uns anvertraut haben, dass dort unnötigerweise noch Menschen sterben, weil Ungeimpfte dort gearbeitet haben Das können wir nicht hinnehmen. Das werden wir mit diesem Gesetz „abschießen“ (oder sagte er „abschließen“?).

Das war rhetorisch brillant, aber politisch blöd, wie sich im Nachhinein herausstellte. Denn damit hatte er quasi die Verantwortung für die teilweise erschreckend hohen Sterberaten in Pflegeheimen bei den Pflegekräften abgeladen, einer nicht gerade privilegierten Berufs- und Menschengruppe in unserer Bevölkerung, die zudem die Hauptlast der Corona-Pandemie trug und weiterhin trägt.

Gerne hätte man gewusst, was Stephan Brandner (Jg. 1966) von der AfD am Herzen lag, als er sich nach diesem Satz meldete, um eine Zwischenfrage an Karl Lauterbach (Jg. 1963) zu stellen. Brandner ist ein „rhetorischer Umweltverschmutzer“, dabei bisweilen aber ganz unterhaltsam. Apropos, Stephan Brandner. Der war an dem legendären 5. März 2020, dem Tag der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten extra nach Erfurt geeilt, um diesem epochalen Ereignis beizuwohnen. Wie man munkeln hört, geschah dies in der Hoffnung, am Abend als Thüringischer Justizminister wieder abzureisen. Die notwendige juristische Ausbildung hat er ja. Doch ob eine solche Ernennung dem demokratischen Rechtsstaat wirklich gut getan hätte, darf man angesichts so mancherlei  Rechtsverstöße von Politikern der AfD wohl bezweifeln. Es sei erinnert an die Parteispenden-Affären der AfD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Alice Weidel (Jg. 1979) und des AfD-Vorsitzenden Prof. Dr. rer. pol. Jörg Meuthen (Jg. 1961), der die Partei mittlerweile ebenso verlassen hat wie seine beiden Vorgänger im Amt, Dr. rer. nat. Frauke Petry (Jg. 1975) und Prof. Dr. Bernd Lucke (Jg. 1962). Darüber hinaus wurde vom Kölner Verwaltungsgericht kürzlich geurteilt, dass der Verfassungsschutz die AfD offiziell als „Verdachtsfall“ ausweisen darf.

Zudem muss bezweifelt werden, dass ein Ministerpräsident Thomas Kemmerich (Jg. 1965) dem Rechtsstaat gut getan hätte. Zwar ist er gelernter Jurist, doch mittlerweile rechtskräftig vom Verwaltungsgericht Weimar verurteilt, da er nicht die Berechtigung hatte, an den Wahlen zum Erfurter Stadtrat teilzunehmen. Und auch der Vorgehen bei bei der Ministerpräsidentenwahl selbst entspricht nicht gerade demjenigen eines „lupenreinen Demokraten“. Doch das wurde bereits an anderer Stelle beleuchtet. In der Thüringer FDP (und auch in der Bundes-FDP?) scheint dieses Verhalten keine Rolle (mehr) zu spielen. Kemmerich gibt sich reumütig, jeder macht mal Fehler. Und schließlich ist man ja „liberal“. Doch hat die Sache aus hiesiger Sicht mehr als nur ein „Geschmäckle“. Insgesamt ist es einem Rechtsstaat nicht förderlich, wenn ein wegen einer unzulässigen Wahl rechtskräftig verurteilter Politiker die politischen Geschicke eines Landesverbandes bestimmt. Denn wenn man fehlerhafte Wahlen zulässt und parteipolitisch generös darüber hinweg sieht, rüttelt man letztlich an den Grundfesten unserer Demokratie. Die FDP als eine Partei, die die Geschicke und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt und sich dabei als Rechtsstaats-Partei profiliert hat, sollte sich zu diesen Vorgängen aus hiesiger Sicht eindeutiger positionieren. Dass sie es bisher nicht getan hat, kann man insofern als ein Indiz für den Niedergang des Rechtsstaates in unserem Land interpretieren.

Die Zwischenfrage von Stephan Brandner (und später eines anderen AfD-Abgeordneten) hatte Lauterbach (verständlicherweise) nicht zugelassen. „King Karl“ (nicht zu verwechseln mit „King Kong„) hatte gesprochen und erlaubte keine Widerrede. Dabei mag er sich vielleicht im Nachhinein fragen, ob die Verabschiedung des Gesetzes zur Einrichtungs-bezogenen Impfpflicht wirklich eine so grandiose Idee war.

Denn letztlich haben die Pflegekräfte nach dessen Verabschiedung (basisdemokratisch) mit den Füßen abgestimmt und die Umsetzung des Gesetzes zu Fall gebracht, indem ein signifikanter Teil von ihnen nicht der Impfpflicht nachgekommen ist. Der eine oder andere mag sich beim Po-Abwischen eines dementen und renitenten Pflegeheimbewohners gefragt haben: „Wieso muss ich mich impfen lassen, der Alte aber nicht?“ Das war übrigens der Grund, weshalb an dieser Stelle für eine Alters-bezogene Impfpflicht plädiert wurde, die insbesondere die Risikogruppen mit einbezieht. Wenn man beides gleichzeitig implementiert hätte, Einrichtungs- und Alters/Risiko-bezogene Impfpflicht, hätten sich die Pflegerinnen und Pfleger zumindest nicht mit dem Argument rausreden können, sie wären die Einzigen in unserer Gesellschaft, denen eine Impfpflicht auferlegt wird.

Und was lernt uns diese Geschichte? Dass Klugheit und Intelligenz nicht das gleiche sind. Denn Intelligenz muss man Karl Lauterbach zweifellos attestieren. Die meisten seiner Vorschläge sind wohl durchdacht und häufig sinnvoll. Doch muss man mit seinen Ansichten und Gesetzen auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Oder anders ausgedrückt: Staatliche Maßnahmen bedürfen in einem demokratischen Rechtsstaat einer „bürgerlichen Akzeptanz“. Und da hat Karl Lauterbach ein gewisses Problem. Denn ihm haftet das Image eines verschrobenen Intellektuellen an, der nicht merkt, was eigentlich in der Bevölkerung abgeht. Wie soll er das auch, wenn er nur salz- und fleischlos lebt und keinen Tropfen Alkohol zu sich nimmt. Das ist zweifellos gesund, aber auch etwas dogmatisch und zwanghaft. So separiert man sich und kann mit dem „Volk“ nicht auf Tuchfühlung gehen und ihm „aufs Maul“ schauen. Auch gewinnt man so nicht unbedingt Sympathien in der breiten Bevölkerung.

Insofern sei Karl Lauterbach empfohlen, beim Essen und Trinken einmal „über die Stränge zu schlagen„. Seine Fliegen hat er ja schon ablegt. (Dabei sind Fliegen und Krawatten eine der wenigen Accessoires, mit denen Männer gegenüber dem dekorativen „Waffenarsenal“ der Frauen punkten können.) Wenn er es schaffen sollte, auch bei den Essens- und Trinkgewohnheiten etwas lockerer zu sein (zumindest ausnahmsweise), könnte er vermutlich ungleich mehr Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern erringen. Insofern ist er hiermit herzlich nach Weimar eingeladen zu einer würzigen Thüringer Bratwurst am Markt und einem Bier zum „Ablöschen“ der Überdosis Salz. (Notfalls würde der Autor ihm auch ein Fischbrötchen von Nordsee in der Wielandstraße und ein stiller Wasser besorgen.).

Eigentlich sollte es in diesem Blog nicht (allein) um Karl Lauterbach und die (Einrichtungs-bezogene) Impfpflicht gehen, sondern etwas allgemeiner um die Probleme in unserem Rechtsstaat. Das Gesetz zur Einrichtungs-bezogenen Impfpflicht sollte primär als Beispiel dafür dienen, dass man Gesetze, die in der Praxis keine bzw. kaum Wirkung entfalten, besser nicht verabschieden sollte. So diskreditieren sich letztlich Bundestag und Bundesrat selbst und damit wichtige Institutionen unseres demokratischen Rechtsstaates.

Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2020 belegt, ist der Rechtsstaat insgesamt auf dem Rückzug und in Bedrängnis. Insofern sei an Regierung und Bundestag gerichtet die Bitte geäußert, zukünftig größere Sorgfalt bei der Verabschiedung und Implementierung von Gesetzen walten zu lassen. Der FDP kommt diesbezüglich besondere Verantwortung zu, da sie mit Dr. jur. Marco Buschmann (Jg. 1977) derzeit den Justizminister stellt.

Daneben sei daran erinnert, dass in einem dysfunktionalen Staat irgendwann der Ruf nach „einem starken Führer“ erklingt, der dann entscheiden soll, was wie zu geschehen habe. So etwas gab es schon einmal in Deutschland, wo das Rechtsstaatsverständnis in der Nazizeit bewusst abgeändert und eine Reihe schlechter und teils verbrecherischer Gesetze erlassen wurden und letztlich Einzelpersonen darüber entscheiden konnten, was als „Recht und Gesetz“ zu gelten habe und wie man mit (unliebsamen) Bevölkerungsgruppen verfahren könne. Niemand in Deutschland wünscht sich hoffentlich, dass solche Zeiten zurückkehren (wobei man sich dessen bei einigen Akteuren des rechten politischen Spektrums nicht so sicher sein kann). Mit so einem Rechtssystem müssen zur Zeit leider die Russen unter Wladimir Putin zu Rande kommen.