Eine Wahlanalyse aus ostdeutscher/Thüringer Sicht.

Das Ergebnis der Bundestagswahl für Thüringen hat das von Umfragen und an dieser Stelle prophezeite Ergebnis gezeitigt: Die Alternative für Deutschland (AfD) ist zur stärksten politischen Partei aufgestiegen.
Sie hat 4 der 8 Direktmandate erworben:
WK 190: Klaus Stöber
WK 192: Marcus Bühl
WK 193: Stephan Brandner
WK 195: Prof. Dr. Michael Heinz Kaufmann

Der CDU ist gerade mal ein Direktmandat verblieben:
WK 189: Manfred Grund

Die übrigen drei Thüringer Wahlkreise (WK) gingen an die SPD:
WK 191: Dr. Holger Becker
WK193: Carsten Schneider
WK 196: Frank Ullrich

Und auch bei den Zweitstimmen liegt die AfD nun mit 24% Stimmenanteil vorne gefolgt von der SPD (23.4 %), CDU (16,9%), Linke (11,4 %), FDP (9,0%) und den Grünen (6,6%). Über die Landeslisten werden aktuell die folgenden weiteren Personen aus Thüringen in den Bundestag entsandt:

Elisabeth Kaiser (SPD)
Tina Rudolph (SPD)
Susanne Marianne Hennig-Wellsow (Die Linke)
Ralph Lenkert ((die Linke)
Martina Erika Renner (Die Linke)
Gerald Ullrich (FDP)
Reginald Karl Heinz Hanke (FDP)
Kathrin Göring-Eckhardt (Bündnis 90/Die Grünen)
Jürgen Hans Pohl (AfD)

Das ist insbesondere für die CDU eine Erdrutsch-Niederlage. Sie schrumpft in Rekordzeit aufs Mittelmaß und muss fürchten in der politischen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Das ist sicherlich einerseits dem schwachen Kandidaten Armin Laschet geschuldet, aber ebenso der gesamten westdeutschen, vor allem aber der Nordrhein-westfälischen CDU mit ihren Protagonisten Armin Laschet, Friedrich Merz, Norbert Röttgen, Jens Spahn und auch Ralph Brinkhaus. Sie hatten sich völlig selbst zentriert darauf konzentriert, Ihre Machtposition in der Post-Merkel-CDU zu sichern und für den Osten, seine Nöte und Befindlichkeiten nie ein ernsthaftes Interesse entwickelt.
Andererseits muss man aber auch die schwachen Lokalvertreter der CDU ansprechen, allen voran ihrem ehemaliger Anführer Mike Mohring, dem die Wähler nun auch kein Direktmandat zugebilligt haben. Seine politische Karriere dürfte damit wohl beendet sein. Und auch die anderen CDU-Vertreter konnten offenbar die Wählern nicht davon überzeugen, dass sie in der Lage sind, einen wirklichen Neuanfang zu bewerkstelligen. Die letzte Landtagswahl mit der „Tabubruch-Wahl“ von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wirkt hier noch nach.

Umgekehrt konnte die AfD um Björn Höcke offenbar viele Wähler für sich gewinnen. Sie symbolisiert für viele Wähler immer noch eine unverbrauchte politische Kraft, die im Bund eine Kehrtwende der bisherigen Politik einzuleiten verspricht („Deutschland, aber normal“). Denn  die Wähler in Ostdeutschland fühlen sich offenbar von den etablierten Parteien, den sogenannten „Altparteien“ im Sprachgebrauch der AfD, nicht mehr angemessen repräsentiert. Das muss diesen zu denken geben und sie müssen darauf reagieren.

Etwas unerwartet kommt der harte Fall der Linken, hatten sie doch mit ihrem Spitzenkandidaten Bodo Ramelow bei der letzten Landtagswahl mit 31% der Stimmen klar obsiegt. Hieran ist vorrangig das Spitzenpersonal im Bund verantwortlich. Janine Wissler konnte die Wähler ebenso wenig von sich überzeugen wie Annalena Baerbock von den Grünen. Und auch Susanne Hennig-Wellsow muss sich eingestehen, dass sie als Fraktionsführerin unter Ramelow im Land zwar erfolgreich war, ohne ihn auf Bundesebene aber keine bis wenig Strahlkraft erzeugte.

Die Grünen können gerade mal eine, ihre „ewige“ Abgeordnete in den Bundestag entsenden: Kathrin Göring-Eckhardt. Sie ist ein politisches Phänomen, hat sie es doch geschafft, ohne ein fundierte Berufsausbildung (ihr Wikipedia-Eintrag weist lediglich ein abgebrochenes Theologie-Studium auf) zu einer mehr oder minder anerkannten Berufspolitikerin zu werden, die seit 1998 im Deutschen Bundestag sitzt (dies hat sie stets über die Landesliste erreicht), dort seit einigen Jahren Vize-Präsidentin ist und seit 2013 zusammen mit Anton Hofreiter die Bundestagsfraktion anführt. Diesen Aufstieg verdankt sie zweifellos der Wiedervereinigung und ihrer damaligen politischen Erweckung. Ob ihr diese „Qualifikation“ noch in ein Ministeramt verhelfen wird, bleibt abzuwarten. Wirklich überzeugende Wahlergebnisse hat sie für sich und die Grünen bisher weder im Bundesland Thüringen noch bei der Wahl in ihre politischen Ämter in Berlin erringen können (ebenso wie ihr Amtskollege Anton Hofreiter).

Ebenso unerwartet mag vielen das sehr gute Abschneiden der SPD im Land erscheinen. Sie ist quasi aus dem Tal der Tränen (8,2% bei der Landtagswahl 2019) wieder zur vollen Blüte auferstanden und hat mit 23,7% der Zweitstimmen die Linke mit nur 11,4% deutlich hinter sich gelassen. Das ist sicher einerseits dem Spitzenkandidaten für das Kanzleramt, Olaf Scholz, zu verdanken. Ihn wünschten sich die meisten Wählerinnen und Wähler als neuen Bundeskanzler und so wird es aller Voraussicht nach auch kommen. Andererseits kann man aber den Vorgängen in Thüringen nach der letzten Landtagswahl auch einen Anteil daran zuschreiben, denn die SPD hatte sich (ebenso wie die Linke) klar gegen die Wahl von Thomas Kemmerich gestemmt und sich zuvor und danach konsequent gegenüber der AfD abgegrenzt.

Interessant ist das Abschneiden der FDP, es bedarf einer genaueren Analyse. Denn mit 9% hat die FDP in Thüringen zwar schlechter abgeschnitten als im Bund (11,5%), aber immer noch deutlich besser als bei der letzten Landtagswahl mit gerade einmal 5%. Auch hier gilt, dass die Wähler primär bundespolitisch entschieden haben. Der Bundesvorsitzende Christian Lindner und sein Generalsekretär Volker Wissing sowie die übrige Bundes-FDP mit ihrem Programm konnten die Wähler von sich überzeugen. Und das haben auch die Thüringer honoriert.
Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass dies keinesfalls ein Sieg für die „Kemmerich-FDP“ in Thüringen war. Im Gegenteil ist festzuhalten, dass zwei der drei erstplatzierten Kandidaten der FDP-Landesliste in ihrem Wahlkreis als Direktkandidaten schlechtere Ergebnisse erzielten als der Landesdurchschnitt. Es handelt sich dabei um Gerald Ulrich, der im Wahlkreis 196 (Suhl-Schmalkalden-Meiningen-Hildburghausen-Sonneberg) nur 6,3% der Stimmer erzielte und auf dem 5. Platz landete. Der zweite ist Tim Wagner. Er erreichte im Wahlkreis 191 (Jena-Sömmerda-Weimarer Land I) ebenfalls nur den 5. Platz mit 7% der Erststimmen; und dass, obwohl mit Dr. Thomas Nitzsche die FDP in der Stadt Jena den Oberbürgermeister stellt. Die beiden sind Hauptprotagonisten der „Kemmerich-FDP“ im Lande, die sich (wie auch die CDU) nie wirklich von ihrer (todgeschwiegenen) Kollaboration mit der AfD bei der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten distanziert haben. Gerald Ulrich hatte sie im Gegenteil danach in einer Rede ausdrücklich verteidigt, was zu einem Eklat im Deutschen Bundestag führte.
Spätestens seit dem letzten Landesparteitag der Thüringer FDP ist für alle sichtbar geworden, dass es eine Opposition innerhalb der Landespartei zu Kemmerich und seinem Kurs gibt, was so manchen Thüringer Wähler mit bewogen haben mag, der FDP ihre Stimme zu geben .

Der Bundeswahlausschuss beabsichtigt, das endgültige amtliche Ergebnis der Bundestagswahl 2021 voraussichtlich am Freitag, dem 15. Oktober 2021 in einer öffentlichen Sitzung im Deutschen Bundestag in Berlin festzustellen und bekannt zu geben. Es bleibt abzuwarten, ob dies, in Anbetracht der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl in Berlin und der Wahlanfechtungen, tatsächlich erfolgen wird.