oder „über einen sonnigen Sonntag zu Zeiten von Krieg und Corona in Weimar„.
Es soll im Folgenden über die Veranstaltung „Weimarer Reden“ am letzten Sonntag im Deutschen Nationaltheater (DNT) berichtet werden wie auch über ein paar andere Ereignisse des letzten Wochenendes.
Der Titel ist angelehnt an ein prägnantes Schlagwort aus dem Vortrag von Dr. Constanze Kurz (Jg. 1974) im Rahmen ihrer Weimarer Rede. Doch bevor die Informatikerin aus (Ost-) Berlin zu Wort kam, ergriff zunächst der Oberbürgermeister der Stadt Weimar, Peter Kleine (Jg. 1972), das Wort und begrüßte alle Anwesenden im DNT sehr herzlich. Sichtlich erfreut über die gut besuchte Präsenzveranstaltung ging er in seiner Eröffnungsrede auf die Historie der Veranstaltung „Weimarer Reden“ ein. Sie findet in diesem Jahr zum 28. oder 29. Mal statt. Das Motto der diesjährigen Vortragsreihe ist angelehnt an das der Spielzeit im Deutschen Nationaltheater. Dessen Intendant Hasko Weber (Jg. 1963), auf den das Motto „Geteilte Zukunft“ wohl zurückgeht, war ebenfalls anwesend, trat jedoch persönlich nicht am Sonntag in Erscheinung.
Das Motto „Geteilte Zukunft“ bringt die Ambivalenz der Zukunft zum Ausdruck. Denn der Begriff „Teilung“ kann einerseits als Teilhabe/gerechte Aufteilung verstanden werden, andererseits steckt in ihm auch die Bedeutung „Trennung“/Aufteilung inne. Und dieses Schicksal droht ja aktuell der Ukraine.
Peter Kleine nahm insofern in seiner Vorrede Bezug zu der aktuellen Situation in der Ukraine und illustrierte die Konsequenzen dieses Krieges anhand der Städtepartnerschaften von Weimar. Eine besteht mit der Stadt Zamość in Ostpolen. Sie liegt nur wenige Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Dorthin hatte die Stadt in der letzten Woche eine umfangreiche Sendung von Hilfsgütern transportiert, die aus Spenden der Weimarer und Thüringer Bevölkerung finanziert worden war. So seien auch Medikamente und Beatmungsgeräte mit dabei gewesen. Diese Städtepartnerschaft erlebt gerade in der aktuellen Zeit eine ganz neue, wohl zuvor nie erahnte Dimension.
Dagegen berichtete der OB, dass das Verfahren zur Aufnahme einer Städtepartnerschaft mit Tula, einer Stadt in Russland, vom Stadtrat erst einmal suspendiert wurde, obwohl die Gespräche und Verhandlungen schon recht weit fortgeschritten waren. Den meisten Beifall bekam der Oberbürgermeister, als er davor warnte, dass man jetzt nicht gegen alle russisch sprechenden Mitbürger in der Stadt und im Land vorgehen dürfe.
Nach seinem Vortrag übergab OB Kleine das Wort an Liane von Billerbeck (Jg. 1957), einer freien Journalistin, die in Deutschlandfunk Kultur häufig das Morgen-Magazin moderiert. Von nun an bestimmten zwei intelligente und kultivierte Frauen das Geschehen auf der Bühne des DNT. Liane von Billerbeck verstand es dabei gekonnt, durch geschicktes Nachfragen und Nebenbemerkungen in dem einleitenden Zweiergespräch zwischen der Rednerin und der Moderatorin, dem Publikum einerseits die Rednerin vorzustellen und andererseits nach dem Vortrag das Publikum in die Veranstaltung einzubinden.
So war der Anmoderation zu entnehmen, dass Constanze Kurz promoviert ist. Und so erfuhr man auch, dass sie zunächst Volkswirtschaft an der FU Berlin studiert hatte und die Informatik zunächst nur ein Nebenfach gewesen sei. Da ihr das Fach jedoch so interessant erschien, hatte sie dann die Studienrichtung gewechselt. Sowohl Liane von Billerbeck als auch Constanze Kurz stammen aus (Ost-) Berlin. Der Vater von Constanze Kurz ist Techniker. Und auch sie selbst betonte in ihrem Vortrag den technischen Charakter ihrer Profession, auch wenn sie sich sicherlich der vielen anderen Dimensionen der „Digitalen Welt“ bewusst ist. Denn sie ist nicht nur Informatikerin, sondern auch (ehrenamtliche) Sprecherin des Chaos-Computer-Clubs, Sachbuchautorin sowie einflussreiche Beraterin von Politik und Gesellschaft und Mitglied in diversen Gremien.
Kurzum, man merke, weshalb ihr die Ehre eines Vortrag bei den Weimarer Reden zu Teil wurde. Constanze Kurz ist gerade nicht einer dieser „Computer-Nerds„, die den ganzen Tag am Computer sitzen und etwas neues „kodieren“, mit dem sie potentiell auch Schaden anrichten können. Sondern Constanze Kurz steht mitten im Leben und ist sich der Macht und der Verantwortung eines Computer-Spezialisten zweifelsfrei bewusst.
Ihr Vortrag beschäftigte sich mit dem Thema „Tracking“ und dessen Bedeutung in unserer digitalen Zeit. Der Titel lautete „Diese Daten können gegen Sie verwandt werden“. Es seien im Folgenden ein paar der vielen interessante Tatsachen und Gedanken vorgestellt:
- Die Informations/Nachrichtenaufnahme erfolgt heutzutage zum großen Teil über Soziale Medien und dabei sind die folgenden Plattformen in absteigender Reihenfolge wesentlich: Facebook, YouTube, Twitter. Größter Aufsteiger in den letzten Jahren war TikTok. Auch Instagram etabliert sich zunehmend als Informations-Plattform für junge, aber auch ältere Menschen. Dadurch sind es große Digitalkonzerne, insbesondere Facebook/Meta, dem Betreiber von Facebook und Instagram, sowie Google/Alphabet, dem YouTube gehört, die in der Nachrichtenüber- und -vermittlung mittlerweile eine wesentliche Rolle spielen.
- Über 80% aller Webseiten verwenden mittlerweile Tracking Software. In den letzten Jahren habe es eine massive Zunahme des Einsatzes dieser Software gegeben. Sie wird von den Nutzern mittlerweile als normal anerkannt und weitgehend unkritisch akzeptiert. Man tut dies zum Beispiel, wenn man sich auf einer Webseite mit der Anwendung von „Cookies“ einverstanden erklärt.
- Die wichtigsten Tracking-Apps kommen von Google gefolgt von Facebook. Genauer ging Constanze Kurz dann auf die Skandale von Facebook ein, die jeweils mit einem 10-11%-igem Abrutschen des Aktienkurses einher gingen. Dies sind.
- Der Cambridge Analytica Skandal im Jahr 2018. Dabei wurde bekannt, dass Facebook im umfangreichen Stil Daten aus seinem sozialen Netzwerk an die Firma Cambridge Analytica weitergegeben/verkauft hatte. Diese Daten wurden dann für die gezielte Meinungsmanipulation über das sogenannte „Microtargeting“ benutzt. Mark Zuckerberg (Jg. 1984), dem Gründer von Facebook, wurde dazu im April 2018 in einer Anhörung im US Kongress befragt. In der Folge meldete das Unternehmen Cambridge Analytica Konkurs an. Er war von dem US-Milliardär Bob Mercer (Jg. 1946) finanziert worden, der unter anderem mit Steve Bannon (Jg. 1953), dem ehemaligen Leiter von Breitbart-News und Berater von Donald Trump (Jg. 1946), befreundet ist.
- Constanze Kurz erwähnte den Skandal um die Whistleblowerin Frances Haugan aus dem Jahr 2021, über den unter anderem die BBC berichtet hatte.
- Auch ging sie ein auf den Journalisten Craig Silverman, der mit der ehemaligen Facebook-Angestellte Sophie Zhang Informatonen erhalten und ein Interview geführt hatte. Sie offenbarte später „I have blood on my hands“ („Mir klebt Blut an den Händen“)
- Zudem illustriert Constanze Kurz anhand der Ergebnisse einer Untersuchungs-Kommission des Britischen Parlamentes, wie mittels gezielter Manipulationen in den Sozialen Medien der Ausgang der Brexit-Abstimmung in Großbritannien im Jahr 2016 beeinflusst wurde. Die Kommission hatte festgestellt, dass über Soziale Medien ein umfangreiche Beeinflussung von Wähler für einen Brexit stattgefunden hatte. Der Umfang der beeinflussten Personen/Accounts lag bei über 100 Millionen. Die britische Regierung unter Boris Johnson (Jg. 1964) hatte den Ausgang des Votums gleichwohl akzeptiert, offenbar weil er sich selbst für den Brexit ausgesprochen hatte.
- Ähnliche Beeinflussungs-Praktiken von Wählern über die Sozialen Medien kamen dann bei der Präsidentschaftswahl von Donald Trump im November 2016 zur Anwendung.
Wer sich näher mit den Vorgängen vor und nach der Brexit-Abstimmung beschäftigen möchte, dem sei der Film „Angriff auf die Demokratie – Wurde der Brexit gekauft?“ des deutschen Sendekanal Phoenix empfohlen, der über YouTube verfügbar ist.
Constanze Kurz sprach in ihrem Vortrag und der Diskussion von einem „Überwachungs-Kapitalismus“ und stellte dar, wie diese Entwicklung letztlich durch wenige Großkonzerne betrieben und befördert wird, konkret Facebook/Meta und Google/Alphabet. Denn das Sammeln und Analysieren von Daten, die auf dem freiwilligen Ausspionieren von Milliarden Menschen basieren, ist letztlich die Geschäftsgrundlage dieser Unternehmen. Insofern wurde in der Diskussion auch die Frage aufgeworfen, ob man nicht diese Unternehmen zerschlagen sollte. Und das war ein Gedanke, der von Constanze Kurz keinesfalls zurückgewiesen wurde.
Sie sprach sich in jedem Fall dafür aus, das man den in Deutschland und Europa propagierten Datenschutz gleichzeitig als Manipulationsschutz verstehen sollte.
Am Ende ihres Vortrags stellt der Autor dieses Blogs die Frage, ob es nicht sinnvoller sei, einen freizügigeren Gebrauch von Daten zu erlauben und gleichzeitig jedoch dafür zu sorgen, dass der Missbrauch von Daten (und die Manipulation von Menschen) strengstens sanktioniert wird. Mit diesem Gedanken konnte sich Frau Dr. Kurz nicht recht anfreunden. Doch muss er womöglich erst besser ausformuliert und durchdacht werden, bevor er größere Akzeptanz erfährt. Es sei an dieser Stelle jedoch nochmals darauf hingewiesen, dass mit dem „grundsätzlichen Verbot“ des Gebrauchs von Daten im Datenschutz eine Sondersituation in unserem (freiheitlichen) Rechtssystems geschaffen wurde, das primär alles erlaubt. Nur im Datenschutz scheint primär alles verboten bzw. es wird die explizite Einwilligung einzelner Menschen eingefordert, was uns unter anderem dazu zwingt, eine Fülle von Formularen, Unterschriften oder „Clicks“ zu leisten/Cookies zu akzeptieren.
Die sehr anregende und lohnende Veranstaltung ging kurz vor 13:0 Uhr nach 1 3/4 Stunden zu Ende.
Im Laufe des Nachmittags sollte der Theaterplatz vor dem DNT dann noch Schauplatz einer der vielen, Deutschland-weit durchgeführten Protestveranstaltungen werden, die sich gegen den Krieg in der Ukraine richteten. Es war das richtige Wetter zum Demonstrieren. Der Himmel lachte, die Sonne schien, während man gegen das Unheil des Krieges demonstrierte. Und auch an der „Corona-Front“ ist noch keine Entwarnung zu geben, was mit den beiden im Bild festgehaltenen Testergebnissen demonstriert werden soll.
Doch der Frühling naht vernehmbar. Auch das kommende Wochenende verspricht warm und sonnig zu werden. Am nächsten Sonntag, dem 20. März 2022, findet die zweite Weimarer Rede statt, dann mit Wolfgang Streeck (Jg. 1946). Start ist erneut um 11:00 Uhr im DNT.
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